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Disclaimer: Der folgende Artikel soll über das Thema Perfektionismus informieren. Solltest du zu perfektionistischem Verhalten neigen, kannst du gerne die am Ende präsentierten Tipps ausprobieren. Solltest du jedoch unter starker Prüfungsangst oder anderen Folgen leiden, oder sollte dich dein Perfektionismus im Alltag wirklich einschränken, bietet die Universität Jena einige Beratungsangebote an.
Mehr Informationen findest du hier: https://www.hochschulsport.uni-jena.de/universitaere-gesundheitsfoerderung/studentisches-gesundheitsmanagement/dein-wegweiser-gesund-studieren/psychosoziale-gesundheit
In ihrem Buch „starkes, weiches Herz“ schreibt Madeleine Alizadeh „Perfektionismus ist die Epidemie des 21. Jahrhunderts” (2019, S.49). Wir leben in einer Zeit, in der uns erzählt wird, dass wir uns ständig optimieren sollen. Wir machen eine Ausbildung oder studieren, sollen in kurzer Zeit fertig werden, gute Noten schreiben, nebenbei Sport machen, uns gesund ernähren, meditieren und am besten noch ein Ehrenamt ausüben oder uns politisch engagieren. All das kann ziemlichen Druck aufbauen.
Doch der Tag hat nur 24 Stunden, die wir abzüglich 8 – denn wir sollen ja auch genug schlafen – mit Aufgaben und Verpflichtungen füllen können. Wir können nicht alles gleichzeitig machen und wir können nicht perfekt sein. Ein Motto zum Umgang mit diesem Druck beschriebt Sheryl Sandberg in ihrem Buch „Lean in“ (2013): „Erledigt ist besser als perfekt“. Wer viele Dinge erledigen möchte oder muss, muss Abstriche machen. Weder die Zeit noch die Ressourcen reichen dafür aus, alle Aufgaben bis zur Vollkommenheit zu bearbeiten.
Arten von Perfektionismus
Es gibt allerdings Menschen, die im Umgang mit Aufgaben höhere Ansprüche an sich selbst haben. Die selbstgesteckten Ziele sind extrem hoch, ebenso wie ihre Standards und eine Leistung, die nicht perfekt ist, können sie bei sich selbst schlecht akzeptieren. Dabei leiden sie unter der Angst Fehler zu machen, oder gar zu scheitern. Diese Menschen werden als Perfektionist:innen bezeichnet.
Personen, die sich um Bestleistungen bemühen, stolz ihre Erfolge feiern, aber gelegentliche Misserfolge akzeptieren können, nennt man funktionale Perfektionist/innen.
Es gibt jedoch auch den dysfunktionalen Perfektionismus. Werden hierbei die angestrebten Ziele und Leistungen nicht erreicht, konzentrieren sich die Betroffenen ausschließlich auf den Misserfolg und die Probleme ihrer „schlechten“ Leistung. Es kommt zu einer Abwertung der eigenen Person, da der Selbstwert nur über Erfolge definiert wird und eine stabile Wertschätzung der eigenen Person fehlt. Dysfunktionale Perfektionist:innen sind davon überzeugt, dass ihr Umfeld diese Meinung über sie teilt und rechnen ständig mit deren Ablehnung. Um in den Augen anderer nicht zu scheitern, versuchen sie durch Spitzenleistungen Anerkennung zu erhalten. Einige Perfektionist:innen verlieren sich in einer Spirale. Statt Erfolge zu feiern, erkennen sie diese nicht an, empfinden ihre Leistungen nie als gut genug und versuchen diese noch weiter zu verbessern. Aus dem Gefühl heraus einfach nichts perfekt machen zu können und dem ständigen Streben nach Höchstleistungen setzt jedoch irgendwann die Erschöpfung ein. Das kann in hohem Stresserleben, Ängsten und sogar in psychischen Erkrankungen resultieren.
Der Ursprung von Perfektionismus
Individuelle Persönlichkeitsentwicklung
Der Ursprung von Perfektionismus liegt oft in der Kindheit und entsteht durch das Verhalten von Bezugspersonen und der Umgebung. Wenn Kinder nur Liebe gezeigt bekommen, nachdem sie eine gute Leistung erbracht haben, können sich perfektionistische Ansprüche entwickeln. Auch die Lernerfahrungen, die Kinder in Bezug auf Fehler hatten, sind entscheidend, besonders wenn diese zu unangenehme Konsequenzen führten. Die Leistungsorientierung in Schulen oder der Universität kann zusätzlichen Druck ausüben und somit diese Verhaltensweisen stärken. Auch eine komplette Abwesenheit von Strukturen kann zu Perfektionismus führen, da durch das perfektionistische Verhalten die fehlende Kontrolle (vermeintlich) geschaffen wird. Die zugrundeliegende Ausprägung individueller Persönlichkeitseigenschaften, zum Beispiel Pflichtbewusstsein oder Leistungsstreben spielen ebenfalls eine Rolle.
Leistungsgesellschaft
Auch die Leistungsgesellschaft verstärkt die perfektionistischen Verhaltensweisen, da stets in vielen Bereichen eine Optimierung angestrebt wird, der das Individuum nicht gerecht werden kann. Konzentriert man sich auf einen der Bereiche, wie das Studium, wird zwangsläufig ein anderer Bereich, beispielsweise die Ernährung vernachlässigt. Dadurch entsteht ein immer größer werdender Druck. Das spricht auch Professor Dr. Rosa in der 10. Folge des Podcasts “Campusgespräch” an. Studierende hätten zusätzlich die Belastung, dass sie stets auf ein höheres Ziel hinarbeiten und keine Erholungsphasen haben. Direkt nach dem Abitur müssten sie sich für einen Studiengang und eine Universität, oder für ein soziales Jahr entscheiden und direkt nach dem Bachelor gehe es mit dem Master weiter. Richtige Erholungsphasen, in denen man die Erfolge genießen könne, gäbe es da nicht. Für mehr Informationen zu den Faktoren der Gesellschaft, hört in die Folge des Podcasts rein.
Typische Denk- und Verhaltensmuster von Perfektionist:innen können sein, dass sie sich für faul halten, bis zur Erschöpfung arbeiten, keine Kritik ertragen, den ständigen Wunsch nach Verbesserung spüren und ihre Selbstachtung an Erfolg festmachen. Zudem haben sie oft Glaubenssätze die mit „ich soll“ oder „ich muss“ beginnen. Je mehr der Perfektionismus in verschiedenen Lebensbereichen ausgeprägt ist, zum Beispiel in der Uni, der Beziehung und dem Hobby, desto größer ist der Leidendruck der Betroffenen.
Schutzfunktion
Ebenso wie negative Glaubenssätze (siehe „Ich bin nicht gut genug“ – Wie Glaubenssätze unsere Wahrnehmung beeinflussen), hat auch Perfektionismus eine Funktion für die Betroffenen. Die US-Professorin Brené Brown beschreibt in ihrem Buch “Verletzlichkeit macht stark” (2013) den Perfektionismus als einen Schutz vor dem Schmerz, den eine Ablehnung und Bewertung von Außenstehenden mit sich bringen kann.
Folgen von Perfektionismus
Auch Prokrastination kann eine Verhaltensweise von Perfektionist:innen sein. Da die Angst zu scheitern einer Aufgabe von vornherein sehr hohe Maßstäbe setzt, fangen Perfektionist:innen, um sich ihrer Versagensangst nicht stellen zu müssen, oft lieber gar nicht erst an.
Die ständige Angst davor zu scheitern kann jedoch problematisch werden. Ein Beispiel ist die Prüfungsangst. Man hat gut gelernt und sich vorbereitet, die Angst davor, dass die Prüfung schlecht laufen könnte, dominiert jedoch die Situation. Sorgen wie „Was ist, wenn die Fragen schwerer werden, als erwartet?“ oder „Was ist, wenn mir die Antworten nicht einfallen?” kreisen im Kopf umher. Der Körper stellt sich auf die Bedrohung der Angst ein, indem Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet werden. Es kann zu Symptomen wie Herzklopfen, Verdauungsproblemen, Schweißausbrüchen und Kreislaufbeschwerden kommen.
Tipps für den Umgang mit Perfektionismus
Falls du dich in diesem Beitrag wiedergefundenen hast, haben wir abschließend noch einige Tipps gesammelt, wie man Perfektionismus entgegenwirken kann.
Zunächst sollte das eigene Verhalten reflektiert werden:
Was macht mir Angst? Worüber denke ich nach? In welchen Situationen fühle ich mich überfordert?
- Dein Perfektionismus hat Vor- und Nachteile. Während die Leistungsbereitschaft zu guten Ergebnissen führt, setzt dich die Versagensangst unter Druck. Mach dir diese Vor- und Nachteile einmal bewusst.
- Versuche, deine Ansprüche etwas zu senken. Wo kannst du Verpflichtungen reduzieren? Welche Leistung reicht aus, um ein Seminar zu bestehen? Natürlich sollst du dich gern weiterhin bemühen und für deine Herzensprojekte einsetzen, aber wenn es nicht überall die 1.0 wird, bist du trotzdem gut!
- Überlege dir, wann und wo perfektionistische Ansprüche sinnvoll sind. Hat der Bus Verspätung und du bist spät dran, wirst du vermutlich nur genervt ankommen, wenn du dich deswegen zusätzlich stresst. Stecke deine Energie lieber in Projekte, die dir wirklich wichtig sind, wie zum Beispiel die Vorbereitung auf einen Aufnahmetest. Wenn du sparsam mit deinen Ressourcen umgehst, kannst du sie sinnvoll für spezifische Höchstleistungen einsetzen.
- Mach dir bewusst, dass deine Leistung nicht unabhängig von Vergleichen ist. In einer Klausur, deren Durchschnitt bei 2.0 liegt, eine 1.7 zu schreiben, fühlt sich mitunter besser an, als wenn der Durchschnitt 1.3 gewesen wäre. Lass dich nicht runterziehen, wenn sich Umstände verändern oder jemand anderes noch besser war, sondern versuche, deine eigene Leistung zu würdigen!
- Fang einfach an! Macht dir eine Aufgabe Angst und du willst am liebsten alles perfekt planen, fang einfach an. Du kannst nicht alle Faktoren des Endergebnisses beeinflussen. In einer Gruppenarbeit kann man die Leistungen der anderen nicht steuern und auf dem Weg zur Uni kann der Zug Verspätung haben. Leg erstmal los und versuche die Aufgabe zu bearbeiten, Verbesserungen kannst du dann immer noch vornehmen.
- Behalte das große Ganze im Auge. Lege den Fokus nicht auf jedes Detail, sondern bearbeite erstmal die Aufgabe an sich. Wenn der Vortrag steht, kannst du die Präsentation noch verschönern, aber vielleicht müssen auch nicht 10 verschiedene Designs ausprobiert werden, weil das dritte schon sehr schön ist.
- Achte auf deine körperlichen Bedürfnisse und respektiere eigene Grenzen! Schlaf, Bewegung, Ruhe und gesundes Essen sind entscheidend, wenn man langfristig leistungsfähig bleiben möchte.
- Sei nicht perfekt. Führe einmal deine Aufgaben bewusst nicht perfekt aus. Du könntest bspw. eine Mail mit einem absichtlichen Fehler abschicken und schauen, was passiert. Vermutlich gar nichts. Mit der Zeit wirst du realisieren, dass ein perfektes Ergebnis gar nicht immer erforderlich ist.
- Fokussiere dich auf deine Stärken. Du hast Eigenschaften, die dich hervorheben und besonders machen. Sollte etwas mal nicht gelingen, schaue nicht auf deine Schwächen, sondern mache dir bewusst, dass du in anderen Aufgaben punkten kannst.
- Trainiere Selbstliebe und eigene Wertschätzung. Wenn deine Freunde mit einem Misserfolg zu dir kommen, reagierst du vermutlich verständnisvoll und liebevoll. Sei dir selbst auch so ein/e Freundin, anstatt dir vorzuhalten, dass deine imperfekte Leistung eine Schwäche ist. Du bist toll, so wie du bist!
- Gib die Kontrolle ab und bitte um Hilfe. Wenn du mal nicht weiterkommst, bitte um Hilfe. Sich Hilfe zu suchen ist auch eine Form des proaktiven Handelns und kann dich deinem Endergebnis ein entscheidendes Stück näherbringen und dabei noch deine persönlichen Ressourcen schonen.
Quellen & weiterführende Literatur
Bücher:
Madeleine Alidazeh. (2019). Starkes, weiches Herz.
Brenè Brown. (2012). Verletzlichkeit macht stark.
Sheryl Sandberg. (2013). Lean in: Women, Work, and the Will to Lead.
Weblinks:
https://karrierebibel.de/perfektionismus/Externer Link
https://www.sinnsucher.de/blog/nobodys-perfect-wege-aus-der-perfektionismus-falleExterner Link
https://www.oberbergkliniken.de/artikel/perfektionismusExterner Link
https://www.selfapy.com/magazin/wissen/perfektionismusExterner Link
Podcast: Perfektionismus. Wenn man nie mit sich zufrieden ist. Die Lösung – der Psychologiepodcast von PulsExterner Link